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auch ich fordere Freiheit auf deutschen Friedhöfen! Denn auf dem
Grab von Onkel Siggi liegt kein Segen. Wir hatten ihn nach siebenundachtzig
zuletzt eher grämlich dementen Jahren und einer finalen Doppelportion
Rahmgulasch endlich unter die Erde gebracht, als der Ärger richtig
losging. Zum Kummer meiner Tante Hilde fraßen die Karnickel alle
Vergißmeinicht ab. Ich kontaktierte die Friedhofsverwaltung, wurde
aber gleich von einem jovialen Bariton beruhigt: "Die knallt unser
Kammerjäger demnächst alle weg."
rei
Wochen später hatten die Viecher auch sämtliche Kalla verputzt
und die neue Kantine durch rege Stoffwechseltätigkeit markiert. Das
Grab sah mittlerweile aus wie nach zehn Wochen Chemotherapie. Meine Tante
weinte bitterlich. Ich orderte, beraten von einer Top-Floristin, für
150 Euro angeblich karnickelresistente Strünke. Das Geld war leider
in den Wind geschossen. Die Drogistin an der Ecke empfahl Fenchel ("Da
kotzen die garantiert"). Von wegen. Aber Tante Hilde bekam Bluthochdruck.
Auf bohrende Fragen nach dem Kammerjäger murmelte man in der Friedhofverwaltung
plötzlich irgendetwas von "Sparbeschlüssen" und "Personalengpässen".
Hab ich schon erwähnt, dass Tante Hilde meine Lieblingstante ist?
etzt
ging´s aufs Ganze, jetzt half nur noch schweres Geschütz. Ich
schwankte lange zwischen Pumpgun und Arsen, fuhr dann aber doch zum Baumarkt,
wo ich in der Gartenabteilung ein Walnussbäumchen erstand. Ich schob
die Krone durch das geöffnete Verdeck meines Kleinwagens, Tante Hilde
samt Spaten auf die Rückbank und zockelte Richtung Friedhof. Mit
Tempo 20. Im Fahrtwind rauschte das Blattwerk, hinter uns hupte ein kilometerlanger
Autokorso. Tante Hilde schnaubte in ihr Taschentuch und murmelte: "Junge,
was wird das den Siggi freuen, ne, was wird ihn das freuen". Und
es war ja auch alles bestens und sah gut aus wie das Bäumchen, da
frisch angegossen, laubwerkte und Siggis Kopfende schirmte und beschattete.
Hildchen war glücklich.
is
neulich dieser Brief in Kasten steckte: "..., weisen wir darauf hin,
dass laut § 22a der Satzung der Laatzener Friedhofsordnung die Baumbepflanzung
ihrer Grabstätte die zulässige Außenbegrenzung um 15 cm
überschreitet." Man drohte der unbescholtenen Frau mit kostenpflichtiger
Abholzung, wenn der Baum nicht bei Wintereinbruch entfernt oder korrekt
umgesetzt worden sei. Tante Hildes Schilddrüse schwoll auf Tennisballgröße.
Am Abend des nächsten Tages, es goß in Strömen, stand
ich knietief im Morast und hebelte fluchend im Wurzelwerk des wirklich
prächtig angewachsenen Walnussbaumes, um ihn besagte 15 cm zu verrücken.
Mein Spaten war gerade auf einen Resonanzkörper (Siggi?) gestoßen,
als zwischen den Regenschlieren ein gebücktes Weiblein heranwankte.
ab meinen Ollen
ooch ausjraben müssen", kollerte es durch die lückenhaften
Palisaden der Alten, "leßtes Jahr. ßwanzig ßetimeta
ßu lang. Nich mein Oller, det Jrab, mein ich." Ich setzte den
Spaten ab und fragte, was sie bei dem Sauwetter hier noch macht. Man könne
sich ja den Tod holen. Da kicherte die Alte das linke Augenlid verschwörerisch
über die Pupille stülpend: "Ich wohn praktisch hier, muß
ja aufm Kiwief sein - wejen de Karnickel." Ich nickte und wollte
mich gerade wieder an die Arbeit machen. Da echote drei Gräberreihen
weiter ein leises "Ping, Ping, Ping" herüber. Es klang
wie Eisen auf Stein. Dazu drang ein monotoner Singsang durch die einsetzende
Dämmerung. "Daß iß Fritße Krapf, der Steinmetz",
sagte das Weiblein und begann die Melodie mitzusingen.
"Ich hau den Stein, ich hau den Stein,
ich hau da Eure Namen rein.
Von bis A bis K von L bis Z,
dann fang ich vorne an:
denn bei mir kommt jeder mal,
denn bei mir kommt jede mal,
bei mir kommt jeder einmal dran.
Irgendwann"
er
müßte doch längst Feierabend haben, warf ich ein. "Der
iß n´ bißchen verrückt, aber n´ großen
Künstler. Hat Friedhofsverbot, weil seine ßteine ßwei
oder drei Millimeter zu dick ßind." "Und dann macht er
heimlich Nachtschicht?", fragte ich. "ßwatzarbeit",
keckerte die Muhme. Ich starrte kopfschüttelnd in die Finsternis
und griff zum Spaten. Nach drei Stichen hatte ich den Walnussbaum endgültig
freigelegt, aber leider auch ein kokosnussgroßes Loch in Onkel Siggis
Sarg gestochen, aus dem jetzt ein fettes Kaninchen sprang. Wenn das Tante
Hilde wüßte. Der Zwerghase hoppelte mit Karacho auf die Alte
zu, die kreischend ihre Handtasche schwenkte und wie von der Tarantel
gestochen begann, auf das Kleintier einzuschlagen. Von hinten sah ich
den Steinmetz heranspringen. Auch er schrie und schwang Hammer und Meißel
hoch über dem Kopf, um ebenfalls das Karnickel, oder etwa die Muhme,
...mich...? Doch ehe ich die Lage erfassen konnte, hallte ein trockener
Knall über den Friedhof. Das Kaninchen brach zusammen. Hinter einem
Ginsterbusch erschien der Kammerjäger. "Blattschuß",
sagte er. Dann zeigte er auf Siggis ramponierten Sarg. "Das wird
teuer." Meiner Tante hab ich lieber nichts erzählt. Es brächte
sie ins Grab.
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